2007/01/23

Bewerbungssprint

Entscheidungen sind manchmal sehr leicht zu treffen. Trotzdem können sie manchmal Fragen aufwerfen, von denen wir nicht begeistert sind.


Die Baustelle vor mit sieht jetzt schon futuristisch aus. Ein V-förmiges Monster aus Beton ragt vor mir auf. Daneben ein überdimensionales Stahlgerüst, das spätestens 2008 verglast sein wird.

Die Baustelle vor mir schreit nach Zukunft – schreit nach Fortschritt – ruft Ruhm und Reichtum in die Welt hinaus. Mich lässt das kalt.

Auf dem Gebäude hinter der Baustelle ragt das riesige Firmenzeichen heraus. Ein majestätisch aufgebäumtes Pferd symbolisiert (PS-)Stärke und Eleganz. Ich kehre ihm den Rücken und gehe meinen Weg.

Zwei Stunden zuvor: Mein Zug hat eine dreiviertel Stunde Verspätung. Das bedeutet, ich habe nur noch knapp eine halbe Stunde um die richtige S-Bahn zu finden, das richtige Ticket dafür zu kaufen und das richtige Gebäude zu finden.

Ich werde nervös. Ein sehr ungewohnter Zustand, denn nervös war ich nicht mehr vor meiner Physik-Abiklausur. Damals wusste ich aber auch, dass es entweder in die Hose oder richtig in die Hose gehen kann.

Heute bin ich mir sicher. Heute geht nichts in die Hose, heute wird alles gut laufen, heute wird mir meine Zukunft eröffnet. Und es läuft gut. Auf dem richtigen Weg zu richtigen S-Bahn begegnet mir ein sehr einfach zu bedienender Ticket-Automat (Danke Stuttgarter S-Bahn-Betriebe und liebe Frankfurter: nehmt euch ein Beispiel).

Einfach zu bedienen ist auch das Wegeleitsystem im Stuttgarter Bahnhof. Meine Bahn kommt zwei Minuten, nachdem ich auf dem Bahnsteig angekommen bin. Nach zehn Minuten Fahrt stehe ich vor einer Baustelle, die einmal ein monumentales, rustikales und beeindruckendes Bauwerk werden wird.

Nach anfänglicher Orientierungslosigkeit finde ich die Pforte von Werk 1 genau zur richtigen Zeit. Ich fülle den Besucherausweis aus und warte kurz auf die Leiterin der Abteilung. Eine schicke Dame etwas über 50, die schwungvoll die marmorne Treppe hinunter kommt.

In einem kleinen Konferenzraum stellt sie mich ihrer Kollegin vor. Die Kollegin wiederum stellt mir einige Erzeugnisse der Abteilung vor. Nichts Besonderes – ganz übliche Werkzeuge zur internen Kommunikation und ganz gewöhnliche Bestandteile des Marketings.

Die Leiterin stellt mir ihre Abteilung anhand eines Organigramms vor. Ein Teil für Sport, einer für Technik, das Archiv, internationales. Schließlich auch noch die Abteilung für Veranstaltungen. Das meine Qualifikationen und Interessen in diese Abteilung gehören wird schnell klar. Das diese Abteilung Chancen für mich offen hält, die ich nutzen sollte auch.

Natürlich ist es manchmal möglich mit auf die Veranstaltung zu fahren. Vor Ort aktiv zu sein. Meistens in Spanien oder Portugal – das ist besser vom Wetter her – für die Fotografen. In diesem Bereich gibt es viele Kompetenzen – auch für die Praktikanten. Sie wären für diese Stelle sehr geeignet.

Alles klingt nach Sonnenschein. Auf meinen Vorwurf, dass Praktikanten in großen Unternehmen immer die Standart-Arbeiten übernehmen müssen wird geschickt gekontert. Schließlich wächst das Unternehmen zurzeit und damit auch die Aufgaben.

Ich frage schon, wo ich denn so schnell eine Wohnung herbekomme – der 12. Februar ist schließlich schon sehr nah – da wendet sich das Blatt noch mal. Die – demnächst – ehemalige Praktikantin wird mir vorgestellt, die derzeit meine Stelle inne hält. Ich bitte um ein Gespräch unter vier Augen und bekomme es auch.

Leider wirst du nicht auf Veranstaltungen mitfahren können. Eigentlich sollte das hier eine Vollzeit-Stelle werden. Aber ich glaube, dass es einfach niemanden gibt, der so etwas in Vollzeit machen würde außer einem Praktikanten. Deine Aufgabe wird sein Checklisten abzuhacken und nach Hotels zu suchen.

Schnell bin ich wieder auf dem Boden der Tatsachen. Es ist so, wie ich es fast erwartet hatte. Die Praktikanten sind hier die Praktikanten und werden klein gehalten. Eigentlich darf man gar nichts. Offiziell noch nicht mal mit den Mitarbeitern zu Mittag essen.

Essen organisieren darf man auch nicht. Nur abhaken ob alles da ist. Es ist langweilig, einseitig und eine sehr geordnete Geschäftsordnung hängt über allem. Mit einem Wort: Überhaupt nichts für mich. Bauch und Kopf sind sich sehr einig an dieser Stelle.

An anderer Stelle schwirrt mir eine Frage durch den Kopf. Ich sitze im Zug: Bin ich zu anspruchsvoll? Es gibt Menschen, die legen einen ganzen Bewerbungsmarathon hin und bekommen gar keine Stelle. Ich mache das im Sprint und sage jetzt schon die zweite Stelle ab.

Da solchen negativen Gedanken nichts für mich sind stelle ich schnell fest, dass ich nicht zu anspruchsvoll bin. Stattdessen drehe ich den Spieß um. Leider macht mir dieser Gedanken viel mehr Angst: Gibt es überhaupt einen Job, der mich glücklich macht?