2007/12/10

Ausbildung mit Umschulungsgarantie

Vor kurzem lag ich im Krankenhaus. Meine Zimmer- und Leidensgenossin eine sechzehnjährige Realschülerin. Was uns verbindet:

Der gemeinsame Verlust unserer Mandeln durch Herr Doktor Brenig junior. Aber auch ein gemeinsamer Gedanke, der in den schlaflosen Nächten voll Hals und Ohrenschmerzen quält:

Was soll ich nur werden? Im kommenden Frühjahr muss sie, ebenso wie ich eine Entscheidung fürs Leben treffen. Der Unterschied: Ich dachte vor drei Jahren ich hätte diese Entscheidung schon einmal getroffen.

Denken wir vier Jahre zurück. Die ehemalige „B“ steht kurz vor ihrem Abitur. Wichtigstes Thema neben Jungs, Partys, Jungs und Abiprüfungen: Was soll ich nur werden?

Nici wird Heabmme – klar. Karo Fluglotsin – hoffentlich. Sarah studiert Französisch, Diana macht Ausbildung. Uschi widmet sich einem Medizistudium – oder doch Psychologie? Auf jeden Fall was Krankes.

Doch was soll Jenni werden? Was technisches, passend zum Physik LK und was sozialkritisches, passend zum Sowi LK. Außerdem kreativ, abwechslungsreich und flexibel. Dann kam dieser Flyer: Technikjournalismus. Das klingt doch passend.

Nach einem erfolgreich absolvierten Eignungstest was die Entscheidung klar: Ich werde Technikjournalistin. Das bedeutet Abenteuer und Erfahrung und investigatives Recherchieren. Das ist der richtige Job für mich.

Im Grundstudium hatte ich dann vor allen anderen Kamera und Schnitt gelernt, war in der Presselounge von Schalke 04, durfte in die Forschungsabteilung des DLR einblicken. Dann wurde klar: Journalistin ist nicht der Job, den ich mal machen will.

Eintönigkeit statt Abenteuer, Erfahrungen, die sich jeder holen kann, offene Karten statt Investigation. Eine journalistische Ausbildung beginnt erst nach dem Studium und nach allem was mir Freunde und Verwandte erzählt haben, ist sie schlimmer, menschenunwürdiger und ekelhafter, als jede andere Ausbildung.

Karo – angehende Rechnungsexpertin für Fluggesellschaften – muss sich mit arroganten Dozenten rumschlagen. Uschi muss sich nach ihrem theoretischen Studium beim ersten Lungenabhören anhören, wie unfähig sie doch ist. Nici bekommt auch beim zehnten selbst geholten Kind Anschiss von der Chefin. All diese Qualen, sind nichts gegen die einer jungen Journalistin.

Junge Journalistinnen müssen sich auf Kaninchenzüchter-Treffen von 60-jährigen Kaninchenzüchtern angraben lassen. Müssen sich von der Lokalchefin anhören, dass der Schreibstil dem eines Sechstklässlers gleicht. Sie müssen sich an einem zugefrorenen Teich auf die Lauer legen nur um auf spielende Kinder zu warten, die am nächsten Tag als „vernachlässigte Kinder bringen sich in Gefahr“ betitelt werden können.

Vergesst es – nicht mit mir… Ich mach PR. Diese Erkenntnis ist es etwas über ein Jahr alt. Nach einem intensiven Einblick in die Welt der Pflege öffentlicher Beziehungen (ich finde, das den besten Namen) bin ich aber jetzt auf ein echtes Problem gestoßen: Kein guter PRler war nicht einmal im Leben Journalist.

Und „Diplom Journalist“ sein bedeutet alles andere, als „Journalist“ sein. Ein „Diplom Journalist“ hatte für einen 3.000-Zeichen Artikel rund zwei Monate Zeit. Ein „Journalist“ tippt das fehlerfrei zum Frühstück.

Und so stehe ich nun vor einem ernsten Problem. Journalist will ich nicht werden – nicht des Journalists wegen, sondern des Werdens wegen. Aber PRler kann ich nicht werden ohne einmal Journalist gewesen zu sein.

Und so liege ich mit meiner Bedrullie im Krankenhausbett. Fahre meine Kopfstütze elektronisch hinauf und hinunter und ziehe ernsthaft eine Umschulung in Betracht. Vielleicht studiere ich ja BWL. Oder ich werde Innenarchitektin und statte Freizeitparks aus.

Meiner Sechzehnjährigen Zimmergenossin empfehle ich weder einen medizinischen Beruf, keinen Job am Flughafen und nichts mit Sprachen zu erlernen. Aus Erfahrung kann ich sagen all diese Leute haben am Ende ihrer Ausbildung ganz schreckliche Zweifel und streben eine kreative Umschulung an.