2006/10/11

Massensucht

Das neue Jahrtausend. Es hat uns viele seltsame Dinge gebracht. Flugzeuge, die in Türme fliegen, Menschen die ohne ihr Macbook nicht mehr schlafen können, statt journalistischen Kolumnen werden Bloggs von jedermann geschrieben. Außerdem die allgemeine Sucht, nach etwas unentbehrlichem.

Seit das Handy zum allgemeinen Gut wurde sind nun weniger als fünfzehn Jahre vergangen. Früher war ein Handy eine lebenserleichternde Erfindung für den Geschäftsmann. Es war klobig, schwer und sah dämlich aus. Heute ist es ein kleines, schickes Hosentaschengerät und nicht mehr weg zu denken. Es ist Haustürklingel-Ersatz, Fotoapparat, Walkman und Statussymbol. Jeder hat eins.

Ich bekam mein erstes vor sieben Jahren. Ich kann mich auch noch genau daran erinnern: Ein blaues Motorola mit einer PrePaid-Karte von D1, mit dem man Menschen hätte niederknüppeln können. Innerhalb der letzten Jahre wechselte ich dreimal die Nummer, und besaß acht verschiedene Handymodelle (in sofern ich mich nicht verzählt habe) in schrumpfender Reihenfolge.

Seit nunmehr zwei Wochen arbeite ich in der Zentrale der Sucht. Im T-Punkt. Dort habe ich Dinge gesehen, die mich sehr erschreckt haben:

Als ich den Mann frage, wie ich im helfen könne nimmt er ein Motorola V3 aus der Hand seines Sohnes. „Es fotografiert nicht mehr.“ Ich nehme das schmale Klapphandy in die Hand. Es sieht reichlich ramponiert aus, ganz so als würde es einem Achtjährigen gehören. „Es gehört meinem Sohn. Er hat es eigentlich nur zum fotografieren.“

Ich besaß früher eine rote Fisher-Price-Kinderkamera. So eine, die man auch mal mit in den Sandkasten nehmen kann. Ein V3 kann man leider nicht mit in den Sandkasten nehmen. Ich erkläre dem Mann, das in einem ruhigen Ton. Er findet, dass Motorola trotzdem die Reparatur bezahlen sollte. Ich gebe ihm die direkte Nummer von Motorola.

Danach kommt eine Frau rein. Sie fährt übermorgen nach Finnland und möchte von dort aus billig mit dem Handy nach hause telefonieren können. Ich erkläre ihr den Urlaubstarif und wie er funktioniert. Leider zahlt mein Arbeitgeber* keine Provision, damit ich der Frau dieses Paket verkaufe. Da ich außerdem ein total netter Mensch bin erkläre ich ihr, dass es wesentlich günstiger für sie ist, sich dort eine Telefonkarte zu kaufen.

Telefonkarten scheinen den Menschen dieser Generation aber schon reichlich fern. „Telefonkarte? Sie meinen ich soll von der Telefonzelle aus telefonieren.“ Ja, genau das meine ich. Denn es gibt sie immer noch - auch wenn die Frau mir das nicht glaubt – die guten alten Telefonzellen. Da die Frau Telefonzellen aber ziemlich fies findet, nimmt sie doch lieber das Urlaubsangebot.

Aus dem Urlaub möchte sie aber auch schöne Postkarten verschicken – auch das geht mittlerweile direkt von dem Handy. Ich erkläre ihr den Vorgang, dann frage ich sie nach ihrem Handy. Es ist ein älteres Model mit VGA-Kamera. Ich erkläre ihr, dass die Postkarten dann ziemlich scheiße aussehen werden (wobei ich das natürlich anders ausdrücke), da die entsprechend vergrößert werden müssen. Das sei ihr egal. Auch dass eine Handy-Postkarte viel teurer ist (und wahrscheinlich auch bei weitem hässlicher, als eine normale) interessiert sie nicht. Ihr geht es um die Individualität. Ich habe früher Postkarten gemalt. Das war individuell und günstig.

Nach zwei Wochen voll mit individuellen Erlebnissen dieser Art beschließe ich mein Handy einfach mal aus zu machen. Das ist jetzt Fünf Tage her – und unglaublich entspannend! Ich betreibe Kommunikation jetzt nur noch einseitig. Nämlich wenn ich kommunizieren will. Hat man ein Handy wird man zur Kommunikation gezwungen. Ruft der Ex-Freund den ganzen Tag an, geht man irgendwann genervt dran. Handys zwingen uns dran zu gehen. Dafür sind sie schließlich da.

Ein klingelndes Telefon hört sich für die meisten Menschen mittlerweile hilfebedürftiger an, als ein schreiendes Kind. Schreit ein Kind stundenlang auf der Straße sagt niemand etwas. Klingelt ein Telefon auch nur eine Minute brüllen drei Leute „Jetzt geh doch mal einer dran!“

Wir telefonieren überall, zu jeder Zeit. Sitzen wir mit unserem Date im Café und das Handy piept, schenken wir ihm die ganze Aufmerksamkeit, statt dem super-sexy-Typ gegenüber. Stehen wir an der Kasse im Supermarkt gehen wir ans Handy und telefonieren, kramen mit einer Hand im Geldbeutel und legen auch nicht auf, wenn all das Kleingeld runter fällt.

Wir merken nicht, dass wir den super-sexy-Typ mit unserer Telefoniererei langweilen, und dass alle Menschen in der Schlange hinter uns im Supermarkt sauer werden. Das Handy ist eine Sucht – eine Notwendigkeit – eine Krankheit. Das Handy ist so normal wie der Toilettengang nach dem aufstehen. Es ist so alltäglich, wie die Decke über unserem Bett. Früher verband ein Kuss zwei Menschen auf dem kürzesten Wege. Heute tut dies das Handy. Egal wo man ist. Aber es trennt uns von der Welt.

Seit mein Handy aus ist, ist mein Empfang wieder auf die Welt gerichtet. Das schreiende Kind auf der Straße entpuppt sich bei näherem Hinsehen, als lachendes Kind, das sich über einen Schmetterling freut. Am Nachbartisch im Café redet ein Mädchen aufgeregt in ihr strassbesetztes Handy. Der Typ ihr Gegenüber sieht gelangweilt aus. Ich lächle ihn an, er lächelt zurück. „Hast du auch die Handy-Sucht?“ frage ich ihn. „Nein, ich hab noch nie eins gehabt.“ Er zahlt seinen Kaffee und wir gehen. Sie telefoniert immer noch.

*(a.d.Red.: ich bin keine Angestellte der Telekom, sondern eines Unternehmens, dass mich nur im T-Punkt zur Zwischenmiete abstellt)

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