2009/04/28

Erste Liga im Poser-Sport

Das Wochenende soll ja einen Ausgleich zum Arbeitsalltag schaffen. Da mein Arbeitsalltag bestimmt ist von Kultur – Ausstellungen, Tanzvorführungen und Lesungen – fallen diese Dinge als Ausgleich schon mal kategorisch weg.


Das Wochenende nach Ostern hatte mein Bruder sein Saisonauftaktspiel gegen die Neuss Froggs (6:19 gewonnen). Ganz im Gegensatz zu der gewählten, ruhigen Ausdrucksweise auf der Arbeit ist am Grid (so heißt das Footballfeld) eher eine rabiate, laute Ausdrucksweise angesagt – quasi um den ganzen Ballast mal so richtig schön raus zu brüllen.

Während beim Fußball am Feldrand meistens die Ü-50 Generation ihre Weisheiten zum Besten gibt („Du Idiot, gib doch ab!“ „Du kannst ja gar nichts!“ etc…) geht es am Grid eher positiv zu, was zu einer allgemein besseren Stimmung führt – auch in Hinsicht auf den Ausgleich zur Arbeit sehr förderlich.

Während am Spielfeldrand der Bonn Gamecocks Varsities knapp 20 Fans nicht besonders stimmgewaltig (abgesehen von Ha-Jo und mir) angefeuert wird, erlebte ich vergangenen Sonntag wie viel Lärm in der ersten Liga gemacht wird. Insgesamt 5.100 Fans verfolgten das Saison Auftaktspiel des Meisters 2008 Braunschweig Lions gegen die Stuttgart Scorpions.

Damit der Gegner seine eigenen Anweisungen beim Snap (wenn der Ball vom Center nach hinten zum Quaterback geworfen wird) nicht mehr versteht, machen die Fans möglichst viel Krach. Am Sonntag erwies sich das als sehr ergiebig, da die Stuttgarter Offense scheinbar mehrmals etwas durcheinander geriet und der Quaterback selber laufen musste. Allerdings könnte man das auch eine sehr starke Defense der Lions beziehen… Belohnt wurden die stimmgewaltigen Fans und die Lions mit einem 20:00 Sieg und ich hatte einen wundervollen Ausgleich zur Arbeit.

Über die eigenen Leute springt man lieber drüber, statt sie umzurennen

Der Lions Best-Man: #1 Jabari Johnson

2009/04/24

Alter sticht Geschlecht – gar kein Problem

Meine Woche stand ganz unter dem Motto: Wie rede ich richtig. In einem Seminar am Dienstag wurde mir bereits eingebläut nicht aus allem ein Problem zu machen und mir fiel auf, wie voll von Problemen die Service-Welt ist. Beispiel Kellnern:

Gast: „Könnten Sie mir ein Bier bringen?“
Kellner: „Kein Problem.“

Dass es in einer Bar ein Problem sein könnte, ein Bier zu bekommen hat der Gast wahrscheinlich noch gar nicht geahnt. Genau so verhält es sich mit „Selbstverständlich.“

Gast: „Könnte ich statt des Bieres einen Wein haben?“
Kellner: „Selbstverständlich“

Klar, selbstverständlich – der Gast ist ja auch eben der Gast. Seit dem Seminar sage ich jetzt nur noch „Ja, gerne“ oder auch variiert als „Sehr gerne“ – oder zumindest versuche ich es. Erst gestern ist mir dann doch wieder ein Problem raus gerutscht…

Außerdem habe ich diese Woche gelernt, wem man in einer Runde Leute als erstes die Hand reicht. Alter sticht Geschlecht, war bislang das einzige was ich wusste. Aber über dem Alter steht noch die Beziehung. Somit muss ich meinem Freund vor dem alten Herrn, vor dem jungen Mädel die Hand reichen. Und als aller erstes dem Rang höchsten. Also Politikern in Ämtern, Adel und so weiter.

Herr Merkel wird außerdem nicht als Herr Bundeskanzler angesprochen. Wäre Angela Merkel jedoch Gräfin oder Botschafterin käme auch Herr Merkel in den Genuss der Ansprache Herr Graf oder Herr Botschafter.

Außerdem habe ich meine Professoren immer falsch angesprochen. Man sagt nämlich weder Herr Schmidt, noch Professor Schmidt, sondern Herr Professor Schmidt.

2009/04/21

Wasser marsch

Obwohl ich jetzt zwei Wochen hintereinander in Bonn war, bin ich diese Woche bei dem Gefühl angekommen in Wolfsburg angekommen zu sein. Diese Stadt ist einfach anders, aber sie verdient eine Chance.

Diese Woche waren die Vorführungen der Movimentos Akademie Klassen. Dienstag und Mittwoch führten die über 60 Tanzkids ihre sieben Choreografien zum Thema Verantwortung auf und eröffneten damit die Movimentos Festwochen der Autostadt, die bis Ende Mai Tanz, Konzerte und viele weitere Veranstaltungen nach Wolfsburg bringen werden.

Bis ich um 17 Uhr selber ins Theater musste, um meinen Posten hinter der Bühne zu beziehen (meine verantwortungsvolle Aufgabe war es die Kids rechtzeitig und geordnet auf die Bühne zu lassen), verbrachte ich im Schwimmbad. Bei dem Wetter klingt das fast nach Urlaub.

Der Haken war nur: Das Schwimmbad war nicht mit Wasser gefüllt, sondern wurde von uns mit Bildern bestückt. Es wurde gebohrt, geklebt und mit der Wasserwaage hantiert, fast 100 Bilder mussten ihren Platz an Wänden, auf Fliesen, Vorsprüngen und einem Tisch finden. Die Bilder sind Produkt der Foto Klasse der Movimentos Akademie.

Kurz vor der Ausstellungseröffnung

Die Klasse, geleitet durch Sarah Hauk, begleitete seit dem Herbst die Proben der Tanzklasse und die Arbeit von Bühnenbild- und Kostümklasse. Ziel war es sich auf künstlerische Weise der Fotografie zu nähern und den Entstehungsprozess der Tanzinszenierung zu dokumentieren.

Donnerstag Abend wurde die Ausstellung dann feierlich eröffnet. Es war sowohl für mich, als Projektmanagerin, als auch für Sarah, die Kuratorin des Hallenbads und besonders für die Fotografinnen selber ein großer Augenblick und eine tolle Bestätigung die vielen Menschen zu sehen, die sich interessiert und neugierig die Bilder ansahen.

Neben einer sehr kurzen (ich hab Freitag frei, weil mein Cousin heiratet), aber arbeitsreichen Woche, hatte ich wieder die Gelegenheit durch viele interessante Gespräche mit echten Wolfsburgern, Pendlern und Zugezogenen weiter die Mentalität der Wolfsburger zu verstehen, die wirklich – und das ist ganz wirklich keine Übertreibung – so anders ist, als in anderen Städten.

Wolfsburger sind Kleinstädter, sind Arbeiter, viele fühlen sich in ihrer eigenen Stadt nicht wohl. Selbst die Kulturschaffenden leben meistens in Braunschweig, Hannover oder den umliegenden Dörfern, nur wenige wirklich im Stadtkern südlich des Werks.

Das Kulturangebot in Wolfsburg ist groß: Das Kultruzentrum Hallenbad bietet Ausstellungen (im Moment unsere J), Konzerte (zum Beispiel Virginia Jetzt! Am 28. Mai – geht einer mit mir hin?), Comdey, Tanz und Programmkino. Es gibt das Phaeno (von dem ich ausführlich berichten werde, sobald ich selber drin war), Kunstmuseum, Gallerien, viel kunstvolle Architektur, aber es scheint, dass das Publikum fehlt.

Die Intellektuellen halten sich aus Wolfsburg raus. Sie kommen allenfalls zum Arbeiten hierher. Die FH Braunschweig hat hier zwar einen kleinen Standort, aber scheinbar wohnt kein Student in Wolfsburg. Es gibt tolle Parks und Seen. Sich mit einem Buch auf die Wiese legen ist den Wolfsburgern trotzdem fremd.

Im Zusammenhang mit Großstädten wird inflationär das Wort „pulsierend“ benutzt. Wolfsburg pulsiert nicht. Wolfsburg ist ein leckendes Rohr aus dem es leise tropft. Was als nächstes passiert kann niemand sagen.

Das Rohr kann noch Jahre tröpfchenweise lecken oder es kann jeden Moment platzen und das Wasser endlich pulsierend frei lassen. Es kann sein, dass es immer so weiter geht: Riesiges Kulturangebot, das kaum angenommen wird. Oder es kommt der Zeitpunkt des Erwachens für diese Stadt, die so viel mehr kann, als man – auch ich – es ihr zugetraut hat.

2009/04/10

Zombies erwachen nach Drei

Nach sechs Wochen Wolfsburg fange ich langsam an hier ernsthaft Fuß zu fassen und Menschen kennen zu lernen, die nicht in der Autostadt arbeiten. Es ist hier ein bisschen mühselig, aber Geduld wird letztendlich belohnt.

„Willst du dich im Ernst im Auto umziehen?“, „Warum denn nicht – du fährst doch!“. Da ich Donnerstag erst um 21.30 richtig Feierabend gemacht hatte musste das Auto als Umkleide herhalten. Für meine Arbeitskollegin Svenja absolut unerklärlich, „also so was hab ich ja noch nie erlebt – jeder Wolfsburger braucht mindestens eine halbe Stunde und zwei Quadratmeter Spiegel zum fertig machen.“ Ich komme glücklicherweise mit einem Beifahrersitz und dem Spiegel in der Klappe zurecht.

Bevor ich ins lange Oster-Wochenende starte wollte ich noch einmal schön feiern gehen. Unser ersten Anlaufpunkt: die bereits bekannte Nachtschicht. Donnerstags Location der „1 Euro Party“. Am Eingang fällt mir auf, wie die Gäste scheinbar Briefe an die Türsteher abgeben. Svenja erklärt „die sind noch keine 18 und haben eine Einverständniserklärung der Eltern dabei.“ Hier wunder mich so was schon lange nicht mehr.

Da in den Ferien sehr, sehr viele junge, overstylte Jugendliche diese Erklärung dabei haben bleiben wir nicht lange, sondern wechseln in die Esplanade. Einen kleinen, aber optisch sehr ansprechenden Club hinter einer Reihenhausfassade. Motto der Party 70ger/80ger – ein gute Laune versprechendes Motto.

Was wir vorfinden sind allerdings in erster Linie Zombies. Zumindest macht es den Eindruck. Niemand lächelt, Frauen tanzen mit Frauen, neben der Tanzfläche wippen die Männer mit Füßen und Köpfen. Rämpelt man während des Tanzens aus Versehen jemanden an und will sich entschuldigen bekommt man nur eine kalte Schulter, nicht mal einen bösen Blick – haben die hier Angst vor mir?

Svenja, die an dieses eigentümliche Verhaltensschema bereits gewohnt ist, und ich machen das beste aus der Sache und tanzen ausgelassen und fröhlich lachend – was die Sympathie der Männer anzog, die der Frauen im Keim erstickte. Bis 3 Uhr hatten wir zwar genau ausgelotet, dass wir nicht annähernd auch den gleichen Typ Mann stehen, aber immer noch mit niemandem geredet.

Dann passierte eine Verwandlung: Langsam spürte man die kühle Anonymität schwinden – in einem Laden mit maximal 200 Gästen eigentlich kein Wunder, aber in Wolfsburg braucht man scheinbar länger. Menschen, die sich vorher nicht angesehen hatten begannen Gespräche, Männer tanzten auch mal mit Frauen und Menschen lächelten zurück.

Auch wir kamen ins Gespräch mit einer Reihe von Leuten. Also – Männern, die Frauen hatten uns ja wie bereits angedeutet bereits in den Kreis der Ausgestoßenen gedrängt… Lustiger Weise war eine der ersten Fragen im Gespräch an mich immer „wo kommst du denn her?“ Schon letzte Woche beim brunchen hatte die Kellnerin uns erklärt, dass man die Auswertigen immer sofort erkennt, „denn die sind freundlich.“

Der Abend endete erfolgreich mit drei Männern auf der Rückbank (nicht was ihr denkt – wir haben netter Weise Taxi gespielt, weil die bei Svenja um die Ecke wohnten) und einem Date zur Einführung in die Kunst des Paintballsports. So gesehen also ein außerordentliche erfolgreicher Ausflug in das Wolfsburger Nachtleben.

2009/04/03

Zertifizierte Glücksfee

Der Frühling ist diese Woche endgültig angekommen. Bei Sonnenschein ist Wolfsburg gleich viel schöner. Außerdem gibt’s seit dieser Woche schicke Ostereier im ganzen Park. Die Eier gehören zu verschiedenen Werkgruppen einzelner Künstler.

Auf der Arbeit wird es langsam immer emsiger. Nach Ostern beginnt das Movimentos Festival und seit Montag proben die Kids der Movimentos Akademie für ihre Aufführung. Außerdem ist am 24. April die erste Tanzveranstaltung. Vorpremiere ist bereits am 23. April.

Dafür durften sich die Mitarbeiter von VW in Wolfsburg, der Autostadt und Mövenpick bewerben und ratet wer auslosen durfte? Nun – seht selbst:

Natürlich habe ich nicht alle 500 Gewinner gezogen, aber zumindest einen für die Presse. Jetzt bin ich nach vier-jährigem Studium zwar immer noch keine Diplom Journalistin, aber immer hin Autostadtzertifizierte Glücksfee!