2009/04/21

Wasser marsch

Obwohl ich jetzt zwei Wochen hintereinander in Bonn war, bin ich diese Woche bei dem Gefühl angekommen in Wolfsburg angekommen zu sein. Diese Stadt ist einfach anders, aber sie verdient eine Chance.

Diese Woche waren die Vorführungen der Movimentos Akademie Klassen. Dienstag und Mittwoch führten die über 60 Tanzkids ihre sieben Choreografien zum Thema Verantwortung auf und eröffneten damit die Movimentos Festwochen der Autostadt, die bis Ende Mai Tanz, Konzerte und viele weitere Veranstaltungen nach Wolfsburg bringen werden.

Bis ich um 17 Uhr selber ins Theater musste, um meinen Posten hinter der Bühne zu beziehen (meine verantwortungsvolle Aufgabe war es die Kids rechtzeitig und geordnet auf die Bühne zu lassen), verbrachte ich im Schwimmbad. Bei dem Wetter klingt das fast nach Urlaub.

Der Haken war nur: Das Schwimmbad war nicht mit Wasser gefüllt, sondern wurde von uns mit Bildern bestückt. Es wurde gebohrt, geklebt und mit der Wasserwaage hantiert, fast 100 Bilder mussten ihren Platz an Wänden, auf Fliesen, Vorsprüngen und einem Tisch finden. Die Bilder sind Produkt der Foto Klasse der Movimentos Akademie.

Kurz vor der Ausstellungseröffnung

Die Klasse, geleitet durch Sarah Hauk, begleitete seit dem Herbst die Proben der Tanzklasse und die Arbeit von Bühnenbild- und Kostümklasse. Ziel war es sich auf künstlerische Weise der Fotografie zu nähern und den Entstehungsprozess der Tanzinszenierung zu dokumentieren.

Donnerstag Abend wurde die Ausstellung dann feierlich eröffnet. Es war sowohl für mich, als Projektmanagerin, als auch für Sarah, die Kuratorin des Hallenbads und besonders für die Fotografinnen selber ein großer Augenblick und eine tolle Bestätigung die vielen Menschen zu sehen, die sich interessiert und neugierig die Bilder ansahen.

Neben einer sehr kurzen (ich hab Freitag frei, weil mein Cousin heiratet), aber arbeitsreichen Woche, hatte ich wieder die Gelegenheit durch viele interessante Gespräche mit echten Wolfsburgern, Pendlern und Zugezogenen weiter die Mentalität der Wolfsburger zu verstehen, die wirklich – und das ist ganz wirklich keine Übertreibung – so anders ist, als in anderen Städten.

Wolfsburger sind Kleinstädter, sind Arbeiter, viele fühlen sich in ihrer eigenen Stadt nicht wohl. Selbst die Kulturschaffenden leben meistens in Braunschweig, Hannover oder den umliegenden Dörfern, nur wenige wirklich im Stadtkern südlich des Werks.

Das Kulturangebot in Wolfsburg ist groß: Das Kultruzentrum Hallenbad bietet Ausstellungen (im Moment unsere J), Konzerte (zum Beispiel Virginia Jetzt! Am 28. Mai – geht einer mit mir hin?), Comdey, Tanz und Programmkino. Es gibt das Phaeno (von dem ich ausführlich berichten werde, sobald ich selber drin war), Kunstmuseum, Gallerien, viel kunstvolle Architektur, aber es scheint, dass das Publikum fehlt.

Die Intellektuellen halten sich aus Wolfsburg raus. Sie kommen allenfalls zum Arbeiten hierher. Die FH Braunschweig hat hier zwar einen kleinen Standort, aber scheinbar wohnt kein Student in Wolfsburg. Es gibt tolle Parks und Seen. Sich mit einem Buch auf die Wiese legen ist den Wolfsburgern trotzdem fremd.

Im Zusammenhang mit Großstädten wird inflationär das Wort „pulsierend“ benutzt. Wolfsburg pulsiert nicht. Wolfsburg ist ein leckendes Rohr aus dem es leise tropft. Was als nächstes passiert kann niemand sagen.

Das Rohr kann noch Jahre tröpfchenweise lecken oder es kann jeden Moment platzen und das Wasser endlich pulsierend frei lassen. Es kann sein, dass es immer so weiter geht: Riesiges Kulturangebot, das kaum angenommen wird. Oder es kommt der Zeitpunkt des Erwachens für diese Stadt, die so viel mehr kann, als man – auch ich – es ihr zugetraut hat.

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